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Eine Bank, ein Blockhaus und ein «illuminierter Wasserfall»
Zum Anziehungspunkt für Reisende wurde der Giessbach kurz vor 1800, als der bekannte Panoramazeichner Gottlieb Sigmund Studer und der Kunstmaler Carl Ludwig Zehender den Wasserfall erstmals dokumentierten. 1818 erstellte der Brienzer Lehrer Johann Kehrli einen Fussweg in das bisher kaum zugängliche Gebiet, danach errichtete er mit Unterstützung der Obrigkeit beim Wasserfall eine überdeckte Sitzbank. 1823 nennt der Reiseführer von Robert Glutz-Blotzheim erstmals ein Blockhaus, in der Erfrischungen angeboten wurden. Im Zeitalter des Liberalismus erhielt der initiative Kehrli 1834 das Patent für eine Sommerwirtschaft mit einem Beherbergungsrecht im Notfall. Damit fand sich am Giessbach ein erstes kleines Gasthaus an der Stelle, wo 1875 das grosse Hotel entstand.
Um 1840, als sich an den Schweizer Seeufern etliche neue Orte, wie Montreux, Interlaken oder Weggis, im Kreis der grossen Fremdenstationen etablierten, sind die Reiseführer bereits des Lobes voll über die gut ausgebaute Infrastruktur am Giessbach. Johann Jakob Leuthy beispielsweise schreibt 1841: «Man kann jetzt auf einem, für Jedermann brauchbaren Pfade, vom Seeufer bis zu einer Höhe von 1060 Fuss gemächlich hinansteigen.» Als erster erwähnt er zudem die abendliche Illumination: «Die Beleuchtung der Wasserfälle durch Feuerwerk versetzt das schäumende Gewässer gleichsam in lauter Feuer.»
Das «Pensionshaus mit 60 Betten»
Um 1850, als in Interlaken bereits zahlreiche Hotels ihre Gäste empfingen, stand am Giessbach immer noch das mittlerweile etwas vergrösserte Gasthaus von 1834. Eine Veränderung trat erst nach dem Tod des Pioniers Johann Kehrli im Jahr 1854 ein, als der in Frankfurt in Ungnade gefallene und in die Schweiz geflüchtete Conrad von Rappard zusammen mit seinem Bruder Hermann die gesamte Liegenschaft übernahm. Im folgenden Jahr erteilte der Statthalter in Interlaken eine Baubewilligung für das neue «Pensionshaus mit 60 Betten». Am 1. Juli 1857 konnte das neue Hotel in der rückwärtigen Mulde eingeweiht werden. Die Pläne stammten vom Berner Architekten Friedrich Studer, der gleichzeitig auch das Bundeshaus in Bern (heute Bundeshaus West) erbaute. Das erste Giessbach-Hotel war ein einfacher dreistöckiger Satteldachbau im Schweizer Holzstil mit zwei seitlich angebauten grossen Lauben. Das erste Giessbach-Hotel wies gemäss den zeitgenössischen Berichten zahlreiche «Waterclosets und Einrichtungen für kalte und warme Bäder» auf, damals ein untrügliches Zeichen für den neusten Fortschritt im Hotelbau. Bereits 1855 unternahm der Berner Lehrer Rudolf Hamberger auf Bitte der Gebrüder Rappard die ersten Versuche mit bengalischer Beleuchtung, die sich bald zu einem richtigen «Highlight» entwickelten; in den 1860er-Jahren lockten die täglichen Illuminationen Scharen von Besuchern mit Extraschiffen aus Interlaken und Brienz an den Giessbach.
Das erfolgreiche Wirken von Eduard Schmidlin
Mit den Brüdern Rappard begann die erfolgreiche Aera von Eduard Schmidlin, der, wie der adelige Conrad von Rappard, ebenfalls zu den liberalen Revolutionären von 1848 gehört hatte. Er war als Autor von Schriften zur Gartenbaukunst bekannt geworden, weshalb er die Aufgabe zur Gestaltung einer grosszügigen Parkanlage erhielt, gleichzeitig aber als «Quereinsteiger» auch den Hotelbetrieb übernahm. Unter seiner Leitung entwickelte sich der Hotelbetrieb innerhalb kurzer Zeit zu einem imposanten Unternehmen. Auch nach dem Verkauf der Liegenschaft 1858 an die Gesellschaft der Gebrüder Knechtenhofer, die in Thun mit viel Erfolg das Hotel Bellevue und auf dem Thunersee die Dampfschifffahrt betrieben, bleib Schmidlin auf seinem Posten und war dabei sehr erfolgreich. So wurde der Bau von 1857 gemäss seinen Berichten durch zwei seitliche Anbauten bedeutend vergrössert und 1858/59 entstand am Standort des ehemaligen Gasthauses von Kehrli ein neuer Holzbau, im Reiseführer von Adolphe Joanne als «hôtel supplémentaire» bezeichnet. 1863 bot die Hotelanlage am Giessbach bereits Platz für 150 Personen.
Das Hotelimperium der Familie Hauser
Bereits 1870 stand der nächste Besitzerwechsel an, der auch die Tätigkeit von Hotelier Schmidlin am Giessbach beendete, der sich daraufhin erfolgreich um das Hotel Bellevue der Gebrüder Knechtenhofer in Thun kümmerte. Mit den neuen Besitzern, die bereits durch mehrere Hotels (vor allem den Schweizerhof in Luzern und das Gurnigelbad) bekannten Familie Hauser, begann eine neue Aera am Giessbach. Nur vier Monate nach dem Kauf erhielt Carl Hauser-Blattmann die Baubewilligung für ein neues Hotel «auf der sogenannten Restaurantterrasse» nach den Plänen des Berner Architekten Horace Edouard Davinet. Das neue, 1875 eröffnete Hotel besetzte die schönste Aussichtslage: ein nach Südwesten gerichteter Haupttrakt ermöglichte den Blick über den ganzen unteren Brienzersee, ein Seitenflügel bot Aussicht auf den Wasserfall; der Baedeker war nun des Lobes voll über das erste mit Dachkuppeln ausgestattete Hotel in der Schweiz. Mit dem neuen Hotel war die Familie Hauser so erfolgreich, dass sie das durch Johann und Heinrich Flück erbaute Hotel «Beau-Site» am Standort des heutigen Autoparkplatzes oberhalb der Anlage im Jahr 1884 auch noch übernahm. In dieser Zeit erhielt der Giessbach sogar eine Münchner Bierhalle.
Auf die Sommersaison 1879, vier Jahre nach Eröffnung seines neuen Hotels, nahm Carl Hauser eine hoteleigene Standseilbahn in Betrieb, die den Gästen den Aufstieg von der Schiffstation zum Hotel erleichterte. Es war die zweite Standseilbahn in der Schweiz, die erste fuhr seit zwei Jahren zwischen der Stadt Lausanne und Ouchy. Als Weltneuheit erhielt sie in der Mitte, auf der grossen eisernen Brücke, eine automatische Ausweiche.
Ein Grossbrand am 4. Oktober 1883, bei dem die oberen Stockwerke des Hotels zerstört wurden, verlieh dem Hotel ein neues Gesicht. Innert weniger Monate errichtete Architekt Davinet auf dem verschont gebliebenen Erdgeschoss ein neues Hotel. Auf Wunsch der Besitzerfamilie wurde die Dachgestaltung dem zeitgemässen Schweizer Holzstil angepasst: An Stelle der Kuppeln von 1875 traten schlanke Spitzhelme, an jene der Dreieckgiebel kräftig vorkragende Giebeldächer. Dadurch mutierte der traditionelle Historismusbau in eine romantische «Schlösschenarchitektur» mit Balkonen und Zierformen im Schweizer Holzstil. Bei der Wiedereröffnung im Juli 1884 erstrahlten im neuen Hotel Giessbach die ersten elektrischen Leuchten, damals ein nur in wenigen Schweizer Hotels bekannter Komfort.
Niedergang und Wiederentdeckung
Nach dem Verkauf der Anlage an einen Lausanner Privatmann 1911 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begannen am Giessbach schwierige wirtschaftliche Jahre. In dieser Zeit formierte sich zudem der Widerstand gegen die überbordende Fremdenindustrie, die mit ihren Bahnprojekten und Hotelbauten zahlreiche unberührte Landschaften zu verschandeln drohte. Als wichtige Plattform für den Kampf gegen diese Projekte etablierte sich 1905 die Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz. Dank der Unterstützung in weiten Kreisen betrachtete man die historische Hotelarchitektur bald einmal mit Ablehnung und Unverständnis. Der fortschrittliche Geist der 1920er-Jahre begeisterte sich zudem für eine moderne und «ehrliche» Architektur, das Hotel aus der Belle Époque wurde als Symbol einer alten, überlebten Ordnung karikiert. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs organisierte die schweizerische Regierung den Kampf gegen die «alten Hotelkästen». 1943 beauftragte sie den Architekten Armin Meili mit der Studie «Bauliche Sanierung von Hotels und Kurorten», in der etliche Hotelabbrüche und «Säuberungen der Baukörper von den hässlichen Zutaten aus dem Ende des letzten Jahrhunderts» aufgelistet wurden. Auf dem Höhepunkt der in den Nachkriegsjahren inszenierten Sanierungswelle führte der Schweizer Heimatschutz mit dem Erlös des Talerverkaufs von 1951 die Aktion «Säuberung des Rigi-Gipfels» durch.
In dieser Epoche der allgemeinen Verachtung historischer Hotelbauten stand auch die Anlage am Giessbach kurz vor dem Konkurs. Ein erster Retter erschien in der Person von Fritz Frey, Besitzer der Bürgenstockhotels, der den Hotelbetrieb nach einem Umbau 1949 wieder eröffnete. Wegen ausbleibenden baulichen Investitionen verlor der Betrieb in den 1970er-Jahren wiederum an Ansehen. 1978 stellte die Familie Frey deshalb ein Gesuch zum Abbruch der alten Hotelanlage und Ersatz durch einen Neubau als «Jumbo-Chalet». Historische Hotels waren damals «alte Kästen» und niemand sah in ihnen ein Kulturgut.
Als Retter der ersten Stunde trat in der Folge Rudolf von Fischer, Berner Burgerratspräsident, auf den Plan. Im Winter 1979 versammelte er eine Gruppe von Enthusiasten, die sich für den Erhalt dieses Hotels einsetzten. Der im lokalen Umfeld vorerst angefeindeten Gruppe gelang es nach drei Jahren, den Umweltschützer Franz Weber für ihr Anliegen zu gewinnen. 1983 gründete dieser die Stiftung «Giessbach dem Schweizervolk», welche in der ganzen Schweiz Geld für den Kauf der Anlage sammelte. Ein Jahr später begann die Tätigkeit der «Parkhotel Giessbach AG», welche 1984 als erstes das Restaurant im Erdgeschoss eröffnete und insgesamt 12 Millionen in die Renovation der Gebäude und die Restaurierung der kostbaren Säle investierte. 1989 konnten die Arbeiten mit der Restaurierung der Belle-Époque-Säle im Erdgeschoss abgeschlossen werden. Als Krönung der Bemühungen erhielt das Hotel Giessbach 2004 die Auszeichnung als «Historisches Hotel des Jahres». 2004 gehörte das Hotel Giessbach zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung «Swiss Historic Hotels».