Späte Entdeckung des Kantons Graubünden durch den Tourismus
1793 schrieb der deutsche Arzt und Naturforscher Johann Gottfried Ebel in seinem Reisehandbuch über die Schweiz: «… dass derjenige, welcher die Schweitz durchreiset hat, in Graubünden nichts Grosses, Ausserordentliches und Schönes in der Natur findet, was ihn als neu frappiren wird.» Um 1800 erfreute man sich im Bündnerland, wenn man überhaupt dorthin fuhr, nicht an lieblichen Seeufern oder kühnen Berggipfeln, sondern man suchte den Aufenthalt im Kurbad. Quellen und deren Bäder bildeten in dieser Berggegend die Kristallisationspunkte für die touristische Entwicklung, ganz im Gegensatz zu den anderen grossen Fremdenregionen der Schweiz. Der Bündner Hotelbau konzentrierte sich deshalb lange Zeit auf einige wenige, meistens mit Thermalquellen oder Heilwassern ausgestattete Orte. Dazu gehörte auch die im 16. Jahrhundert vom berühmten Mediziner Paracelsus erstmals beschriebene kohlensäurehaltige Eisenquelle in St. Moritz.
Das Engadin als Höhepunkt einer Bündner Reise
Erst im mittleren 19. Jahrhundert entwickelte sich das Oberengadin mit St. Moritz, Pontresina und Samedan sowie Sils und Silvaplana zur wichtigsten Region für einen längeren Aufenthalt im Kanton Graubünden. Neben dem Bäderwesen war damals auch das Bergsteigen im Bernina-Gebirge ein wichtiger Faktor für den Aufstieg des Engadins zur bedeutenden Tourismusregion. Der Kern der touristischen Entwicklung findet sich aber bei der genannten Heilquelle von St. Moritz. Beim «stärksten Sauerbrunnen der ganzen Schweiz» entstand 1815 ein zweistöckiges Badehaus und 1832 wurde das alte Quellenhaus zum Gasthof umgebaut. Ein initiativer Kurarzt und die Fassung der neu entdeckten «Paracelsusquelle» initiierten den Bau eines grossen Kurhauses, das 1856 fertiggestellt war und schon nach wenigen Jahren durch ein weiteres Hotelgebäude ergänzt werden konnte. Als die Eisenbahn im Sommer 1904 endlich St. Moritz erreichte und sich dadurch die Reisezeit in die Kantonshauptstadt von 12 auf 4 Stunden reduzierte, setzte im Oberengadin eine grosse Bauphase ein. St. Moritz, Celerina, Samedan, Pontresina, Silvaplana und Sils hiessen die Orte, die nun von den Fremden in immer grösseren Scharen aufgesucht wurden und in denen immer grössere Hotelpaläste entstanden. Unvergleichliche Trümpfe besass die hochalpine Ebene aber auch in den zahlreichen lieblichen Naturlandschaften zwischen Lärchenwäldern und Gletscherzungen, die von den Reiseführern immer wieder in den höchsten Tönen besungen wurden.
Die ersten Hotels in St. Moritz
Die 1858 eröffnete Eisenbahnlinie von St. Margarethen am Bodensee über Sargans nach Chur ermöglichte, wie beispielsweise im Berner Oberland der Bahnbau nach Thun, fortan eine beschleunigte Anreise nach Graubünden. So erstaunt es nicht, dass nach 1860 auch im Engadin fast kontinuierlich neue Pensionen und Hotels entstanden. Die meisten präsentierten sich damals noch als äusserst bescheidene Gebäude, zahlreiche waren aus einem alten Bauernhaus entstanden. In den 1850er-Jahren wurde die Pension Faller, damals bereits das erste Haus in St. Moritz, von Johannes Badrutt (1819-1889) in Pacht übernommen und später gekauft. Dabei erhielt das Haus den Namen «Hotel Badrutt», später auch «Hotel Culm (bei Badrutt).» Nach weiteren Umbauten 1862 erschien dieses Gasthaus in den damaligen Reisehandbüchern an erster Stelle der nun markant erweiterten Hotelliste von St. Moritz. 1879 war Johannes Badrutt Pionier bei der elektrischen Beleuchtung in einem Schweizer Hotel. Mit einem eigenen kleinen Kraftwerk produzierte er den Strom für sechs «Jablochkoff’sche Kerzen», die im Juli dieses Jahres in der Eingangshalle, im Speisesaal, in der Küche und in einem Salon seines Hotels Engadiner Kulm brannten. Mit dieser technischen Pionierleistung war Badrutt seiner Zeit weit voraus: Am Ende das Jahres 1880 waren gemäss einer zeitgenössischen Statistik weltweit bereits über 160 solcher Beleuchtungskörper in Betrieb, die einzigen acht in der Schweiz brannten im St. Moritzer Kulm-Hotel.
Das Badrutt’s Palace
Mitte der 1880er Jahre kaufte Caspar Badrutt, der Sohn von Johannes Badrutt, das 1872 erbaute Hotel Beau Rivage in St. Moritz. In den nächsten vier Jahren erweiterte er das kleine Gasthaus mit einem palastähnlichen neuen Hotel, dem Badrutt’s Palace Hotel, das 1896 eröffnet wurde. Das Badrutt’s Palace gehört zu den romantischen Burganlagen im Hotelbau, die sich in der Schweiz nur in vereinzelten Beispielen durchsetzen konnten. Architekt dieser imposanten Anlage waren die Zürcher Architekten Chiodera & Tschudy, die kurz danach in Vulpera das neue Hotel Schweizerhof entwarfen. Das noble Haus über den See von St. Moritz wurde bei seiner Eröffnung mit dem neusten Komfort ausgerüstet: Fliessendes Wasser, Zentralheizung und Lift gehörten damals zum Standard der Höchstklasse in der Hotellerie. Dazu hatten die innovativen Architekten bereits mehrere Appartements mit einem eigenen Bad ausgerüstet.Im Laufe seiner Geschichte entwickelte sich das Haus mit zahlreichen Erweiterungen und Umbauten. So wurde das Gebäude 1907 um ein Voll-und Dachgeschoss erhöht, etwas später kam ein dreistöckiger Westtrakt mit Speisesaal und der ersten Tennishalle in einem Schweizer Hotel hinzu.
Im Laufe des 20. Jahhunderts kamen eine ganze Reihe von Umbauten hinzu, bei denen aber das historische Ambiente und die Authetizität der Hotelräume stets gewahrt blieben. Die Lage am steilen Hang über dem St. Moritzersee und die Form mit den Zinnen und Ecktürmchen geben dem Badrutt’s Palace Hotel bis heute einen unverwechselbaren schlossartigen Charakter. Ein markanter Hauptturm ragt an der Westseite mit seinem Pyramidendach in die Höhe. Das Gebäude wird getragen von einem zweistöckigen Sockel aus rustikalem Steinmauerwerk. Darüber befindet sich ein lichtdurchflutetes Erdgeschoss mit öffentlichen Bereichen, Restaurants, Boutiquen, einer Veranda und einer grossen Terrasse. Die oberen Geschosse sind Gästezimmer, in der Turmspitze befindet sich eine Suite, die nach dem Turmbrand 1967 neu aufgebaut wurde. Schon von Beginn an zeigten sich Fassade und Interieur in grosser gestalterischer Vielfalt. Das neugotische Motiv mit englischen Spitzbögen aus der Fassade setzt sich im Innern des Hauses fort. Filigrane Holzwände und imposante Holzkassettendecken im Renaissance Stil sowie neobarocke Deckenmalereien zeichnen die öffentlichen Bereiche aus. Trotz der vielen Umbauten wurde zum Erhalt der Originalsubstanz stets viel Sorge getragen, so legte man 2006 das ursprüngliche Stempelgraffitto an der Fassade wieder frei. Seit 2006 ist das Badrutt’s Palace Hotel Mitglied von Swiss Historic Hotels.