Text und Foto rechts von Heinz Schwarz, Restaurator, Kriens (aus dem SKR-Bulletin)
Wer um 1900 in den Süden reisen wollte, der setzte sich in die Bahn oder wählte weiterhin den beschwerlicheren Weg über den Gotthardpass. Diese Route war mit Zwischenhalten verbunden, ein Etappenziel hiess Andermatt. Wer für sich und die Seinen eine standesgemässe Unterkunft suchte, dem diente der Hotelführer des Schweizerischen Hotelier-Vereins. Dieser gedruckte und 174 Seiten umfassende „zuverlässige Führer für Reisende” erschien 1901 bereits in der Dritten Auflage in Basel.
In Andermatt setzte die touristische Entwicklung mit entsprechenden Hotelbauten nach 1850 ein. Das 1854 erstellte Hotel „St. Gotthard” war das erste im Dorf, 1872 folgte in freistehender Lage an der nördlichen Peripherie das unverkennbare Hotel Bellevue (Abbruch 1986) und die Hotelierfamilie Danioth pries ihr westlich des Dorfzentrums gelegenes Grand Hotel ab 1888 den Reisenden zum Verweilen an. Um 1890 standen Unterkunftssuchenden in Andermatt ungefähr 10 Hotels zur Verfügung.
Vor 1914 wurde in viele Hotels investiert, die Häuser modernisiert, gleichzeitig verschuldeten sich die Eigentümer. Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges kamen keine Gäste mehr und die Wirtschaftskrise Ende 1920er/30er Jahre brach ihnen schlussendlich das Genick. Die beiden Häuser Danioth und das Bellevue schlossen, letzteres wurde während des 2. Weltkrieges durch das Militär genutzt.
1887 liess der Patron Adelrich Danioth unmittelbar neben seinem Hotel Oberalp ein beachtliches Haus im Stil der Neurenaissance erbauen. Der Baumeister oder Architekt ist nicht bekannt. Das verputzte und fein abgeriebene Sockelgeschoss verfügte über ein horizontales Fugenbild, wobei die Rundbogenfenster durch angedeutete Quadersteine akzentuiert wurden. Anfänglich konnten die Fenster mittels Jalousien geschlossen werden. Der eingemittete, leicht erhöhte Haupteingang orientierte sich nach Süden gegen die Strasse hin und war mit Granitsteinen eingefasst. Im Scheitel des Rundbogens liess sich die Jahreszahl 1887 sowie das Monogramm A.D. erkennen. Unter dem flachen Walmdach waren die drei Vollgeschosse untergebracht. Mindestens ab 1912 waren die Fassaden mit einem Rauputz versehen, die fein abgeriebenen Pilaster und die Platzierung der Balkone lockerte in gewissem Sinne die strenge Fassadengestaltung auf. Mit dem Setzen der Pilaster konnten zudem beidseits einachsige Risalite erwirkt werden, was dem Haus ein besonderes Gepräge verlieh. An der Westseite schloss sich ein eingeschossiger, quadratischer Speisesaal an das Hauptgebäude an.
1901 verfügte das Grand Hotel Danioth in Andermatt über 130 Betten, zudem gab es elektrisches Licht im Haus, den Gästen standen Bäder und eine Dampfheizung zur Verfügung. Im Erdgeschoss lagen Lese-, Rauch- und Billardzimmer, aber auch der Damensalon, eine Bibliothek und ein Café-Restaurant gehörten zum gehobenen Standard des Grand Hotels.
Erweiterung 1907
Um 1900 erlebte der Tourismus einen unglaublichen Aufschwung und ab 1906 war das Hotel nicht nur im Sommer geöffnet, man entschied sich für den aufwändigeren Winterbetrieb. 1907 veranlasste deshalb der Sohn des Besitzers, Karl Danioth, gegen Norden einen Erweiterungsbau mit Flachdach. In diesem neuen Gebäudeteil, welches das renommierte Architekturbüro Vogt aus Luzern realisierte, lagen nun die Salle de conversation und der Salon à écrire, sowie eine Bar mit Billardtisch. Die Wände wurden im unteren Bereich mit einer Vertäfelung ausgeschlagen, der Bereich darüber wohl tapeziert. In der Salle de conversation erhielten die Wände bis unter das stuckierte Kranzgesims ein hölzernes Täfer mit hochrechteckigen Füllungen, die Ecken zeigten geschnitzte Zierelemente. Neben verglasten Türen waren im oberen Drittel der Vertäfelung Spiegelflächen eingebaut.
Der New Wing 1912
1912 erstellte das Luzerner Architekturbüro Emil Vogt über dem ehemaligen westlichen Saalanbau einen turmartigen Neubau mit Pyramidendach, den so genannten “New Wing”, in dem rund 29 Zimmer untergebracht wurden, einzelne verfügten auch über Bäder. Zur Optimierung der Statik im Neubau verwendete Vogt für die Konstruktion vermehrt Stahlträger. Zudem wurde das Dachgeschoss beim Hauptgebäude ausgebaut und auf der Nord- wie Südseite setzte Vogt eine Lukarne mit geschwungener Dachkante auf. Im ostseitigen neuen Servicetreppenhaus liessen sich Etagen-WC’s unterbringen. Um das Grand Hotel wurde eine Parkanlage mit Baumbestand für die Gäste angelegt.
Die Wiedereröffnung von Danioths Grand Hotel nach dem Umbau erfolgte am Sonntag, den 23. Juni 1912. Neben Umbauten im Hauptgebäude hatte man besonders die erste und zweite Etage modernisiert. Neu gab es private Appartementbäder und in den Gästezimmern fliessendes Wasser. Man wollte unbedingt auf die hygienisch-sanitären Ansprüche der Kundschaft eingehen und dem verwöhnten Gast modernste Einrichtungen zur Verfügung stellen. Damit es in den Zimmern in der Übergangszeit behaglich war, wurden flache mehrschenklige Radiatoren mit Muschelmotiven montiert. Für das elektrische Licht wurden die Drahtinstallationen mittels Porzellanisolatoren über die Wand- bzw. Deckenflächen geführt und die elfenbeinfarbenen Lampenfassungen an den Decken wiesen elegante Goldränder auf.
In den 1930er Jahren kriselte es gewaltig, nicht nur in der Tourismusbranche, und 1936 wurde das erst 49-jährige Grand Hotel für immer geschlossen. Dafür entstand im „New Wing” ein Wohnbereich, das übrige Gebäude wurde seither nicht mehr unterhalten, jedoch als Magazin genutzt. Die grössten Schäden an der Bausubstanz ereigneten sich nach der Schliessung, als dem Gebäude kein Interesse mehr geschenkt wurde. Trotz der sträflichen Vernachlässigung der Eigentümer blieb im Innern erstaunlich viel an Ausstattung des renommierten Architekten Emil Vogt über die Jahrzehnte erhalten.
Zustand 2008
2008 waren die Decken meist geweisselt, ob es jedoch dekorativ bemalte Plafonds gab, ist nicht auszuschliessen. Überraschend war die unglaubliche Vielfalt an Tapeten in den Gästezimmern, viele waren mit Blumen gemustert, manche wiesen Mehrfarbendrucke mit vertikalen Streifen auf und gegen die Decke bildete eine augenfällig gestaltete Bordüre den Abschluss. Das Holzwerk dürfte relativ dunkel bemalt gewesen sein. Die Zimmer- und Korridorböden waren mit qualitativ hochwertigem Fischgratparkett ausgelegt.
Das grosszügige Treppenhaus mit der geraden, gegenläufigen Holztreppe verdient ein besonderes Augenmerk. Für den unteren Wandbereich verwendete der Architekt eine grünlich eingefärbte Linkrusta mit geflochtenem Prägemuster und für die obere Wandhälfte sowie die Treppenuntersichten gelangte eine schwere Tapete mit erhabenen Bourbonenlilien zur Anwendung. Das Treppengeländer bestand aus gedrechselten Staketen und dürfte ursprünglich holzsichtig gewesen sein.
Wenn der Gast von der südseitigen Vorfahrt her durch den Haupteingang gelangte, stand er unmittelbar im Vestibül, das mit seinen stuckierten Felderdecken und den in Stuck gegliederten Wandoberflächen den Besucher ziemlich beeindruckte. Die Pilaster waren mit Lorbeerkränzen und Bändern geschmückt, die einen leichten Hauch des Jugendstils im Raum verbreiteten. Auch die schmalen Füllungen an den Wänden wiesen in Gold erhöhte Filets auf. Der Vorhallenboden zeigte ockerfarbene Keramikplatten und rundum verlief ein rot ornamentierter Fries auf gelbem Grund. Die Stuckdecke im westlichen Vestibül zeichnete sich durch eine grosszügige Kassettierung aus und die Wände der Vorhalle waren mit Stuckrandleisten in Felder aufgeteilt. Für den unteren Bereich sah man eine hölzerne Vertäfelung vor. Die Holzarbeiten von Türfutterverkleidungen, Verblendungen oder solche, die zur Unterteilung von Räumen vorgesehen waren, zeichneten sich durch eine hervorragende handwerkliche Ausführung aus. Neben einem Alkoven im hinteren Bereich des Vestibüls lud im vorderen Teil ein grosses Cheminee zum Verweilen ein. Westlich an das Vestibül grenzte der quadratische Speisesaal, dieser verfügte zur Strasse hin zusätzlich über einem separaten Zugang. Erhellt wurde der Salle à manger von drei Seiten durch grosse, mehrteilige Fenster. Die Decke war in Felder aufgeteilt und zeigte flache Spiegel mit einfassenden Stuckprofilierungen. Zwischen den Tür- oder Fensterdurchbrüchen wurden die schmalen Wandflächen mit Stuckrandleisten gerahmt, eine Vertäfelung mit gestemmten Füllungen vervollständigte die Wandgestaltung. Es kann angenommen werden, dass der Boden mit Parkett ausgelegt war.
Zu einem modernen Hotel gehörte natürlich ein komfortabler Fahrstuhl, den die Firma Schindler aus Luzern lieferte. Die aus Holz gefertigte Kabine war innen nach edlen Holzarten maseriert, hatte einen Spiegel und steckte noch bis zum Abbruch im Liftschacht.
Das Office bzw. die Caisse und der Salon de dames befanden sich im südöstlichen Hausteil des Erdgeschosses. Für diese repräsentativen Räume waren gediegene Tapeten ausgesucht worden.
Seit der Veröffentlichung der touristischen Projekte des ägyptischen Investors Samih Sawiris ist neuer Wind ins Urserntal gekommen und hat bei den Bewohnern eine optimistische Aufbruchstimmung in Sachen Tourismus ausgelöst. Schade, dass mit den involvierten Gruppierungen keine Lösung zum Erhalt gefunden werden konnte, um das historische Hotel geschickt in ein Gesamtpaket einzubinden und mit dem Trumpf aufzuwarten, in Emil Vogt einen bedeutenden Schweizer Hotelarchitekten zu ehren.
Im August 2008 erfolgte der Abbruch des Grand Hotel Danioth.